Bundesgerichtshof stärkt differenzierte Interessenabwägung nach der DSGVO
Mit Urteil vom 18. Dezember 2025 (Az. I ZR 97/25) hat der Bundesgerichtshof (BGH) eine für die Datenschutzpraxis zentrale Frage entschieden:
Müssen von Wirtschaftsauskunfteien gespeicherte Daten über Zahlungsstörungen unmittelbar nach Begleichung der Forderung gelöscht werden?
Die klare Antwort des BGH lautet: Nein – jedenfalls nicht automatisch.
Worum ging es?
Im entschiedenen Fall hatte die SCHUFA Holding AG mehrere erledigte Forderungen eines Betroffenen über Jahre hinweg gespeichert. Obwohl die Forderungen vollständig ausgeglichen waren, wirkten sie weiterhin negativ auf den Score-Wert des Betroffenen, der daraufhin Schadensersatz nach Art. 82 DSGVO verlangte.
Der Kläger argumentierte, die Speicherung verstoße gegen die DSGVO, insbesondere gegen die Grundsätze der Rechtmäßigkeit und Datenminimierung. Er berief sich dabei unter anderem auf Löschungsfristen aus dem öffentlichen Schuldnerverzeichnis, das Einträge bei Nachweis der vollständigen Zahlung unverzüglich löscht (§ 882e Abs. 3 Nr. 1 ZPO).
Die Entscheidung des BGH
Der BGH hat die Entscheidung des Berufungsgerichts aufgehoben und klargestellt:
- Daten über Zahlungsstörungen, die nicht aus einem öffentlichen Register stammen, sondern von Vertragspartnern der Auskunftei gemeldet werden, unterliegen nicht automatisch denselben Löschfristen wie Einträge im Schuldnerverzeichnis.
- Die Pflicht zur sofortigen Löschung nach Forderungsausgleich, wie sie § 882e ZPO für das Schuldnerverzeichnis vorsieht, ist nicht auf Wirtschaftsauskunfteien übertragbar.
- Maßgeblich ist vielmehr eine Interessenabwägung nach Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO zwischen:
- den berechtigten Interessen der Auskunftei und ihrer Vertragspartner (z. B. Risikobewertung) und
- den Grundrechten der betroffenen Person.
Damit grenzt der BGH den Fall der Speicherung von Zahlungsstörungen, die von Vertragspartnern der Auskunfteu eingemeldet werden, ausdrücklich von Fällen ab, in denen Daten aus öffentlichen Registern übernommen werden. Diesbezüglich hatte der EuGH eine längere Speicherung als im öffentlichen Register für unzulässig erklärt – eine Konstellation, die hier gerade nicht vorlag.
Orientierung an genehmigten Verhaltensregeln
Besonders praxisrelevant ist der Hinweis des BGH auf die Verhaltensregeln für Wirtschaftsauskunfteien, die vom Hessischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit zum 1. Januar 2025 genehmigt wurden:
- Regelfrist: Speicherung ausgeglichener Forderungen bis zu drei Jahre
- Verkürzte Frist von 18 Monaten, wenn u. a.:
- keine weiteren Negativmerkmale vorliegen,
- keine Registereinträge bestehen und
- die Forderung innerhalb von 100 Tagen ausgeglichen wurde
- Zudem muss Betroffenen die Möglichkeit offenstehen, besondere Umstände geltend zu machen, die eine noch kürzere Speicherungsdauer rechtfertigen.
Der BGH erkennt diese typisierten Fristen ausdrücklich als grundsätzlich angemessenen Interessenausgleich an – betont aber zugleich, dass jede Einzelfallabwägung entscheidend bleibt.
Was bedeutet das für die Datenschutzpraxis?
Die Entscheidung bringt wichtige Klarheit, aber auch neue Anforderungen:
- Keine Automatismen bei Löschfristen:
Unternehmen dürfen sich weder pauschal auf Registerfristen noch auf feste Speicherzeiten verlassen. - Verhaltensregeln gewinnen an Bedeutung:
Genehmigte Codes of Conduct können ein wichtiges Instrument zur Rechtssicherheit sein – ersetzen aber keine Einzelfallprüfung. - Erhöhtes Haftungsrisiko:
War eine Datenspeicherung auch nur teilweise unrechtmäßig, kommt ein Schadensersatzanspruch nach Art. 82 DSGVO in Betracht. - Dokumentationspflichten steigen:
Verantwortliche müssen ihre Interessenabwägungen nachvollziehbar dokumentieren und regelmäßig überprüfen.
Fazit
Der BGH stärkt mit seiner Entscheidung einen differenzierten Ansatz bei der Speicherung von Bonitätsdaten. Für Unternehmen, insbesondere Wirtschaftsauskunfteien und datenverarbeitende Vertragspartner, bedeutet dies: Rechtssicherheit entsteht nicht durch starre Fristen, sondern durch sauber dokumentierte Interessenabwägungen.
Gerade hier zeigt sich der Mehrwert professioneller Datenschutzberatung – von der Prüfung bestehender Speicherfristen über die Umsetzung von Verhaltensregeln bis hin zur Risikominimierung bei (und ggf. Abwehr von) Schadensersatzansprüchen.
